Bereits in der Anmoderation der Sendung Panorama3 vom 23. Juni wird es knallig.
Kühe würden in einem Milchviehbetrieb bei Flensburg „brutal geschlagen“. Ein Mann beschimpfe eine Kuh (sic!), schlage sie mit der Faust. Mit einem Besenstiel aus Metall werde ein Tier gestoßen, bis der Stiel verbogen sei. Viele der Milchkühe in dem Stall hätten stark geschwollene Beine und Gelenke, die Klauen seien in einem schlechten Zustand. So ist es auch online zu lesen
Spätestens hier dürfte dem Zuschauer klar sein: Da kann nur ein Tierquäler am Werk sein, den man schnell und unbarmherzig zur Verantwortung ziehen müsste.
Es sind sehr unscharfe Aufnahmen einer versteckten Kamera. Der Melker im Melkstand scheint von einer Kuh getreten worden zu sein und ärgert sich. Er boxt zurück. Bei der zweiten Szene wird eine Kuh mit einem Schrubber geschubst. Sie soll wohl den Melkstand verlassen.
Natürlich sollte man nicht derartig auf Kühe einwirken. Jeder, der sich mit Tieren beschäftigt, weiß das. Das Vieh wird bei solchen Aktionen nur unruhig. Es sollte also mit Umsicht zu Werke gegangen werden. Das Vieh sollte nicht geschlagen werden. Doch manchmal wird gerade der ungeduldige Landwirt auf sein Vieh fluchen. Wer noch nie die Geduld verloren hat, sollte jetzt den Stab über unbeherrschten Agrarier brechen und nicht weiterlesen.
Die anderen beiden Clips sind ebenfalls nur wenige Sekunden lang und scheinen von jemandem mit dem Smartphone ebenfalls im Melkstand aufgenommen zu sein. Zu sehen sind zwei Kühe von 170 Tieren. Eines lahmt und das andere Tier hat eine handtellergroße Schürfwunde am Hinterlauf. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass alle Tiere in einem schlechten Zustand wären.
Das sehr kurze Videomaterial gibt also wenig her, was auf eine fortgesetzte Tierquälerei hindeuten könnte.
Jan Körner, der Autor des Beitrags, gibt den echten Investigativjournalisten. Doch statt Recherche ist hauptsächlich der Autor selbst im Bild, um das Videomaterial zu kommentieren, da die Sekundensequenz zu wenig hergibt, um die Aussage von der „brutalen“ Tierquälerei belegen zu können. Angewidert zeigt er auf einen Monitor, wo zum wiederholten Mal die beiden Kühe gezeigt werden – in einer Sequenz von ganzen sieben Sekunden. Immer wieder setzt sich Jan Körner selbst in Szene. Das Material gibt einfach nicht genug her. Da muss der Journalist sich selbst kommentieren. Auch als ein Experte für Tierwohl zu Wort kommt, ist Jan Körner wieder im Blick und zeigt das Kürzestmaterial noch einmal in die Kamera. Dazu klingt aus dem Off bedrohliche Musik. Das Videomaterial wird immer und immer wieder abgespielt. Da können sechs Minuten lang werden. So fällt auch nicht so auf, dass es immer die gleichen Szenen sind.
Eigentlich ist alles ein Ein-Personen-Stück mit Komparsen. Jan Körner als Gerechter unter den Journalisten: Der Gute und der namenlose Schurke. Hier sonnt sich einer in seiner moralischen Überlegenheit.
Investigativer Journalismus sieht anders aus
Das ganze Rührstück hat natürlich eine Vorgeschichte, die nicht vom NDR handelt. Jan Körner ist nämlich nur der Steigbügelhalter für ein ganz anderes Drama.
Unter dem Slogan „Das Leiden der Kühe – geprügelt für Milch“ will das Deutsche Tierschutzbüro zum veganen Leben erziehen. Die Tierrechtler haben es dabei auf bäuerliche Betriebe abgesehen, um zu zeigen, „wie Kühe in der Milchindustrie geschlagen und misshandelt werden.“ Zu überzeugendem Material ist man dabei allerdings noch nicht gekommen. Aber es reicht aus Sicht der Tierrechtler*innen aus. „Um die Ausbeutung und Misshandlung von Milchkühen nachhaltig zu beenden, empfehlen wir Euch pflanzliche Alternativen.“ Da hofft man auch auf einen Boykott der Molkerei, die auchgleich genannt wird. Es ist ein Betrieb aus der Region, der Milch aus bäuerlicher Landwirtschaft verarbeitet. Aber immerhin erreicht der allzu smarte Vertreter der Tierrechtsorganisation sein Ziel. Er wird interviewt und kann seine Sichtweise darstellen, verknüpft mit dem Hinweis, man habe eine Strafanzeige gestellt. Sein Urteil steht fest, da bedarf es eigentlich gar keiner Staatsanwaltschaft mehr. „ Für die Polizei gibt es noch einiges zu ermitteln“, klingt es bedrohlich aus dem Off. „Ob die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten wird, soll sich in den nächsten vier Wochen entscheiden.“ Es gibt also überhaupt kein Verfahren, niemand ermittelt, aber Jan Körner vom NDR hat schon sein Urteil gesprochen.
Bekannt ist, dass die Milch für den Erzeuger nicht viel abwirft. Die Milchbauern stehen mit dem Rücken zur Wand. Es wird sehr hart gearbeitet. Der Ertrag ist nur noch mäßig. Die Hoffnung ist eine Aufstockung der Herde. Doch damit wird der Druck nur noch größer. Ein Teufelskreis, der immer mehr Landwirte zum Aufgeben zwingt.
Jan Körner, der Fachmann für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, hätte hier die Chance gehabt, eine faire Reportage zu gestalten.
Auch das Interview mit dem emeritierten Professor gerät im Nachhinein zur Farce. Der nämlich lässt sich wenige Tage später nicht nehmen, den gescholtenen Landwirt in seinem Stall aufzusuchen. Dabei stellt er überhaupt keine Probleme fest. Auch die Meierei hatte nichts zu bemängeln, obwohl der Reporter auch dort insistiert hatte, der Milchviehbetrieb liefere Milch von „kranken“ Tieren.
So lässt sich an diesem kleinen Bericht des NDR die Krise gut ablesen, in die der öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten geraten sind. Längst hat der Qualitätsjournalismus zugunsten des Boulevard zurücktreten müssen. Man ist sich nicht zu schade, mit übertriebenen Darstellungen einzelnen die Macht der Anstalt zu zeigen. Der NDR nimmt letztlich auch den wirtschaftlichen Ruin eines Familienbetriebes billigend in Kauf, auch wenn die Anschuldigungen im Rahmen einer Tierschutzkampagne nicht bewiesen sind.
Hierbei wird die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben. Konventionell arbeitende Landwirte werden sich verbittert abwenden. Ihnen wird kein Gehör verschafft, sondern einzelne, die einen Fehler gemacht haben, werden an den Pranger gestellt und können sich nicht wehren. Wer wird schon einem vermeintlichen Tierquäler Recht geben?
Für den betroffenen Landwirt und seine Familie hatte der Bericht weitreichende Folgen. In der örtlichen Presse erscheint sein vollständiger Name. Tagelang wird der Hof belagert. Ein Shitstorm in den sozialen Medien ergießt sich über die Angehörigen. Sie werden beschimpft und bedroht. Auch in den Kommentaren zum Bericht lässt sich das gut ablesen. Wütende Stimmen fordern harte Maßnahmen, wer für den Bauern Partei ergreift, wird von der Redaktion gemaßregelt, das sei doch alles nur „PR“ des Bauernverbandes. Dieser Haltungsjournalismus scheint sich gut anzufühlen, doch es bleibt ein schaler Beigeschmack.